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Title
Friendship without Borders. Women's Stories of Power, Politics, and Everyday Life across East and West Germany


Author(s)
Leask, Phil
Published
New York 2020: Berghahn Books
Extent
326 S.
Price
$ 149.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Jessica Bock, Digitales Deutsches Frauenarchiv, Berlin

In seinem 2020 erschienenen Buch Friendship without Borders untersucht Phil Leask einen Freundinnenkreis aus und um Schönebeck (Sachsen-Anhalt), die „Schönebeck Women“. Darin bietet er den Leser:innen einen Zugang zu einem interessanten Quellenbestand und eröffnet Einblicke in das Alltagsleben von Frauen, das von Krieg und deutscher Teilung, aber auch von Freundschaft geprägt war. Die Studie ist chronologisch aufgebaut und gliedert sich in sechs Kapitel, die sich jeweils einem Jahrzehnt widmen. Jedes Kapitel beginnt mit einer historischen Kontextualisierung in Form einer Einführung in die jeweiligen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Besatzungszonen bzw. der Bundesrepublik und der DDR. Ferner fasst ein Abschnitt unter der Überschrift „The Women's Question“ für jede Dekade schlaglichtartig die wesentlichsten frauenpolitischen Maßnahmen und Gesetzgebungen beider Staaten zusammen. Die vorangestellten Einordnungen tragen dazu bei, die Berichte in den Rundbriefen in ihrer historischen Situiertheit zu erfassen und nachzuvollziehen. Am Ende eines jeden Kapitels fasst Phil Leask seine wesentlichsten Erkenntnisse in einem Zwischenfazit zusammen.

In seiner Analyse stützt sich Phil Leask vor allem auf die Rundbriefe, die sich die Frauen zwischen 1950 und 2000 untereinander schrieben. Das Konvolut der „Schönebeck letters“ umfasst 31 Notizbücher mit etwa 100 Fotos und 1.000 Briefen, die sich die Frauen zwischen Ost und West hin- und herschickten. Zusätzlich führte er mit vier Frauen, zwei aus Ost- und zwei aus Westdeutschland, leitfadengestützte Interviews.

Die Gruppe umfasste 30 Frauen, die zwischen 1925 und 1927 in Schönebeck bzw. in der umliegenden Region geboren wurden und dort gemeinsam aufwuchsen. Damit gehören die Frauen einer Generation an, die im Nationalsozialismus sozialisiert wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg in unterschiedlichen politischen Systemen lebte. Von den 30 Freundinnen lebten 17 in der Bundesrepublik und 13 in der DDR.

Diese Konstellation bildet eine gute Ausgangsbasis, um das Alltagsleben von Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts systemübergreifend und vergleichend zu betrachten. Jedoch versäumt es Phil Leask zu Beginn, entsprechend klare Vergleichsparameter zu benennen, die es ermöglichen würden, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Schönebecker Frauen über die Jahrzehnte zu erfassen. Die vorangestellten historischen Kontextualisierungen reichen hierfür nicht aus und reproduzieren, was das Leben von Frauen in Ost und West betrifft, eher Allgemeinplätze als neue Erkenntnisse zu befördern. So widmet er sich im ersten Kapitel der Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. An den Beispielen von Irma Kindler, Anna Siebert, Else Hermann und Hertha Pieper beschreibt er die Verstrickungen der Frauen mit dem politischen System. Während Kindler, Siebert und Hermann im Reichsarbeitsdienst tätig waren, stieg Pieper zur „Führerin“ der örtlichen BDM-Gruppe auf. Phil Leask stellt in seiner Analyse fest, dass die Frauen in ihren Rückblenden sich kaum über ihre Zeit im NS äußern, und bewertet diesen Befund als „the single most striking feature oft the collective narrative the women spent so long constructing“ (S. 297). Was daran jedoch genau ungewöhnlich ist und warum sich die Schönebecker Frauen mit ihrem Ausblenden des Nationalsozialismus vom Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft dieser Zeit unterscheiden, erläutert der Autor nicht.

Für seine Analyse wählte Phil Leask einen alltags- und mikrogeschichtlichen Ansatz. In seinen Ausführungen bleibt er nah am Material und lässt dadurch eine gewisse Vertrautheit mit den Schönebecker Frauen entstehen. So können die Leser:innen beispielsweise hautnah den beschwerlichen, aber letztendlich erfolgreichen beruflichen Aufstieg von Anna Siebert zu einer der ersten weiblichen Ingenieurinnen in Westdeutschland mitverfolgen. Zugleich zeugen die Rundbriefe eindrücklich davon, wie es den Frauen trotz Trennung durch die Mauer gelang, ihre Freundschaft und eine gewisse zwischenmenschliche Nähe aufrechtzuerhalten. Erfreulicherweise betrachtet Phil Leask nicht nur die positiven Seiten der Freundschaft unter den Schönebecker Frauen, sondern thematisiert auch negative Aspekte. Innerhalb der Gruppe gab es durchaus Hierarchien und Konkurrenz. In ihren Briefen teilten sich die Schönebeckerinnen nicht nur gegenseitig ihr Leben mit. Am Beispiel von Else Hermann und ihrem Ringen mit ihrer eigenen sexuellen Orientierung weist Leask auf bestehende Tabus innerhalb der Gruppe hin.

Die Nähe zum Quellenmaterial verleitet den Autor aber auch dazu, dieses an einigen Stellen mit seinen Interpretationen überzustrapazieren. Zum Beispiel sieht er in einem Foto von Gisela Riedel, das sie 1949 im Leipziger Zoo vor einem großen schwarzen Bären zeigt, eine (unbewusste) Referenz „to the Russian bear and other Soviet imagery, and perhaps also to Nazi propaganda about the Soviet Union“ (S. 96).

In den Rundbriefen tauschen sich die Frauen unter anderem über ihren persönlichen Werdegang, ihre berufliche und familiäre Situation oder über ihre Reiseerlebnisse aus. Kaum Erwähnung finden jedoch die Politik im Allgemeinen oder Frauen- und Gleichstellungspolitiken sowie deren Möglichkeiten und Grenzen für die eigene weibliche Biografie. Scheinbar entwickelten die „Schönebecker Frauen“ weder in der BRD noch in der DDR bezüglich ihrer Rolle in der Gesellschaft ein kritisches oder gar feministisches Bewusstsein. Phil Leask nimmt diese Leerstelle als Ausgangspunkt dafür, der Frauengruppe einen unterschwelligen Konservatismus zu attestieren. Weibliche Lebensentwürfe – wie zum Beispiel jener der Opern-Sängerin Anni Lange, die die Kinderbetreuung ihrem Mann überlässt – wurden in der Gruppe als „wahnsinnige Herausforderungen“ bzw. gar als „Bedrohung“ wahrgenommen (S. 300).

Obwohl der Begriff „Friendship“ titelgebend für die Untersuchung ist und auf etwa 300 Seiten analysiert wird, fehlt eine theoretische wie analytische Einordnung in die kulturwissenschaftliche und historische Forschung über Freundschaft, insbesondere diejenige zwischen Frauen. Ebenso wenig scheint der Autor die mittlerweile recht umfangreiche Literatur der historischen Frauen- und Geschlechterforschung über Freundinnenschaft rezipiert zu haben.1 In der Einleitung erfolgt keine Definition des Konzepts „Freundschaft“ bzw. „Frauenfreundschaft“ und deren Kontextualisierung in das 20. Jahrhundert. Phil Leask beschreibt den Schönebecker Freundinnenkreis als eine Art „safe space“, wo die Frauen sich untereinander Halt gaben, Mut zusprachen und weibliche Solidarität lebten (S. 292). Als Grundlage für das jahrzehntelange Bestehen der Freundschaft unter den Frauen definiert Leask ein Set aus vier „Gründungsmythen“: erstens, Schönebeck als Heimat, mit der alle Frauen in der Gruppe verbunden sind; zweitens, die miteinander geteilten, glücklichen Erinnerungen an ihre Heimat; drittens, die Frauengruppe als ein Ort der Unschuld und, viertens, die Annahme, die Gruppe würde für immer zusammenbleiben (S. 11–12). Warum er den Begriff „Mythos“ gewählt hat und wie er ihn definiert, führt Phil Leask nicht aus. Eine theoretische Fundierung hätte wesentlich dazu beigetragen, die Frauenfreundschaft zwischen den Schönebeckerinnen als politischen Ort und als politisches Verhältnis zu erfassen. In diesem Zusammenhang hätte zum Beispiel auch die Frage behandelt werden können, welche emanzipatorischen Potentiale von dieser Frauenfreundschaft ausgingen. Somit bleiben die gewonnen Erkenntnisse über die Schönebecker Frauen und deren „friendship without borders“ leider unscharf. Die Kritik soll die Leistung des Buches nicht schmälern, sondern einladen, die gewonnenen Erkenntnisse über die Freundinnenschaft und die Schönebecker Briefe, die sich im Archiv der Akademie der Künste befinden, als Ausgangspunkt für weitere Forschungen zu nehmen. Hierfür hat Phil Leask eine solide Ausgangsbasis geschaffen.

Anmerkung:
1 Auswahl: Li Gerhalter, Freundinnenschaft als geschriebener Ort. Briefliche Selbst-Inszenierungen von Frauenfreundschaften der jungen Lehrerin Tilde Mell, Wien, 1903 bis 1912, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 48 (2005), S. 62–69; Sabine Eickenrodt / Cettina Rapisada (Hrsg.), Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung, Bd. 3: Freundschaft im Gespräch, Stuttgart 1998; Margit Göttert, Macht und Eros. Frauenbeziehungen und weibliche Kultur um 1900 – eine neue Perspektive auf Helene Lange und Gertrud Säumer, Königstein i.Ts. 2000; Angelika Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft, Köln 2000.

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